Freitag, 13. Dezember 2013

Geldstrafen auf Fans umlegen - Privatpersonen in den Ruin treiben

Fußball ist die Sportart in Deutschland überhaupt, weder im Breiten- noch im Profisport kommt man an ihm vorbei. Eine zich millionenschwere Industrie verkauft heute sehr selbstbewusst das Produkt Bundesliga in alle Welt, die Zahl der Aktiven ist ebenso wie die Zahl der Zuschauer so groß, dass es für einen Einzug in den Bundestag locker reichen würde, Fußball ist ein Riese, die Bundesliga ist ein Riese, der DFB ist ein Riese. Und natürlich hat dieser Leviathan sich Regeln gegeben, einmal die Regeln des Sportes Fußball - Aus, Abseits, Tor, Handspiel, Gelbe Karte, Rote Karte - und einmal die des Verbandes, der 25.000 Vereine in sich vereint. Und natürlich hat der DFB seine eigene Gerichtsbarkeit, ansonsten wäre das Aufstellen von Regeln wohl ziemlich sinnlos. 
Und dieses DFB-Gericht entscheidet nun, wenn Vereine oder Spieler gegen Regeln verstoßen haben oder wenn es Knatsch gibt, zum Beispiel weil eine Mannschaft gerne ein Wiederholungsspiel wegen eines Phantomtors hätte. So weit, so gut. Die Vereine haften nicht nur für das Verhalten ihrer Angestellten, seien es Spieler oder Funktionäre, sondern auch für ihre Fans und ihren Ordnungsdienst - nämlich dann, wenn es "Ärger" im Stadion gibt. Der Heimverein ist immer für die Sicherheit im Stadion zuständig und jeder Verein wird für das Fehlverhalten seiner Fans zur Verantwortung gezogen. Die Standardentscheidung lautet Geldstrafe, wenn es das irgendwann nicht mehr bringt, kommen Pokalausschluss, Geisterspiele oder sonst irgendwas hinzu.
Der pädagogische Sinn des Ganzen ist leicht zu erfassen: Die Vereine werden, gemessen an dem was sie haben (und demnach was ihnen weh tut) und dem was vorgefallen ist, bestraft, um das, was zum Fehlverhalten geführt hat, zu ändern. Also, wenn ständig irgendwer in meinem Stadion zündelt, krieg ich als Verein eine Geldstrafe vom DFB und irgendwann merke ich, dass das Einbauen eines besseren Kamerasystems und die Schulung der Ordner billiger wäre, als immer die Strafen zu bezahlen, verbessere meine Infrastruktur, das Zündeln ist schwieriger geworden und kommt seltener vor. Ist ja kein Zufall, dass in gewissen Stadien fast jeder Gastverein einen abbrennt und in anderen so gut wie niemand. Dies ist eine Vertragsstrafe, die der Verein gezwungen ist zu zahlen, denn wenn er den Vertrag nicht unterschreibt, spielt er nicht mit.
So weit, immer noch so halbwegs gut (noch besser gefällt uns Milan Sasics Konzept "Lasst sie knallen", aber das nur am Rande). Dann gibt es aber noch Gerichtsurteile (von echten Gerichten), die bestätigen, dass der Verursacher für eine Geldstrafe - der Zündler, der Flitzer, der Schmeißer - durch den Verein in Regress genommen werden kann. Durch den Kauf meiner Eintrittskarte bestätige ich, dass ich mich an die Stadionordnung halte, wenn ich das nicht tue und damit dem Verein Schaden zufüge, muss ich für den Schaden auch gerade stehen. Klingt schon weit weniger logisch als alles zuvor Gelesene: Zum einen ist der Schaden durch das DFB-Sportsgericht eine Folge des Vertrages zwischen den Vereinen und dem DFB und der DFL und kein Schaden, der wirklich materiell entstanden ist. Wenn ich beim Zünden eine Werbebande in Brand setze, muss ich die zahlen, logisch, wenn ich meinem Nachbarn ein Loch in die neue Winterjacke brenne, werde ich ihm eine neue kaufen müssen und wenn ich jemanden verletze, hat er ein Anrecht auf Schmerzensgeld. In diesen Fällen wäre ein Schadensersatz zu zahlen, dessen Höhe ein anständiges Gericht festlegt, auf rechtstaatlicher Basis.
Im DFB-Sportsgericht sitzt Rudi Bommer, das geht nun wirklich nicht. Diese juristische Entscheidung ist schwierig nachzuvollziehen, da der zu zahlenden Strafe ja gar nicht der entstandenen Schaden zugrunde liegt, sondern die wirtschaftliche Potenz des Vereins. Man stelle sich vor, der Fußballboom geht weiter und irgendwann generiert so ein Bundesligaverein alleine an internationalen Fernsehgeldern mal das zehnfache. Und du läufst besoffen über das Spielfeld, findest du gerade lustig, und der Verein schickt dir eine Rechnung über 500.000 Euro. Dass die Strafen des Vereins, die sich durch einen solchen Vertrag legitimieren, an Privatpersonen weitergeleitet werden können, ist moralisch schwer nachvollziehbar, da die Strafe eben aus dem Grund so hoch ist, weil sie einem millionenschweren Unternehmen ein bisschen weh tun soll. Eine Privatperson ruiniert sie. Und der pädagogische Sinn ist auch weg. Am Ende muss ich als Verein gar nicht mehr für die "Sicherheit" im Stadion sorgen, ich muss nur jemanden erwischen, dem ich die Kohle abschwatzen kann.
Warum dieser Text? Auch der MSV ist hin und wieder von Geldstrafen betroffen, seit Jahren. Zum ernstzunehmenden Umdenken hat das nie geführt. Es gibt Vereine, die haben das Interesse (eines Teils) ihrer Fans an Pyrotechnik ernst genommen, mit ihnen diskutiert, gegenüber den Verbänden argumentiert, Geldstrafen nach sauber durchgeführten Aktionen juristisch angegriffen, ein paar Vereine haben sich als Unterstützer in der Kampagne 'Pyrotechnik legalisieren' eintragen lassen und der ein oder andere hat sich den ganzen Hokuspokus gespart, unter der Hand Absprachen mit den Fans getroffen, was wann wie oft passieren kann und sich damit arrangiert, den Betrag von x-tausend Euro an Strafen ins Budget aufzunehmen und unter "Fanarbeit kostet halt Geld" verbucht. Der MSV hat sich diese inhaltliche Diskussion (bewusst) gespart und nun einen Handlungswandel vollzogen, den er genau so wenig begründet wie seine vorherige "mich geht das hier alles nichts an mit dieser Pyrotechnik"-Position. Stolz (Überschrift: "MSV Erfolg nach DFB-Strafen", na wenn man sonst nix mehr zu feiern hat) berichtet der MSV auf seiner Homepage, dass er dem Flitzer vom Paderborn-Pokalspiel 1000 Euro abgenommen hat. Applaus, Applaus. In Düsseldorf zünden 20 Leute, die Geldstrafe dürfen sich die zwei Erwischten teilen, jeder 2000 Euro. Können die Erwischten ja fast froh sein, dass der MSV finanziell am Boden liegt, sonst wären die Strafen wohl deutlich höher ausgefallen. Und jetzt gibt der MSV die Geldstrafen halt weiter. 
Eine inhaltliche Diskussion braucht man wahrscheinlich immer noch nicht, eigentlich sogar noch weniger, da man einen Teil der Strafen ja nun von den Fans wiederbekommt. Und so muss man sich mit dem Thema 'Pyrotechnik' auch nicht weiter beschäftigen. Der MSV hat einen Vertrag unterschrieben, in welchem er akzeptiert, dass er durch die DFB-Sportgerichtsbarkeit bestraft werden kann, wenn sein Spieltagskonzept Mängel aufweist. Das tut es. Statt sie zu schließen, gibt der MSV die Strafen weiter an Privatpersonen, als wäre er ein Richter, der die angemessene Bestrafung für ein "Fehlverhalten" zu bestimmen hat. Wir finden das armselig. Der MSV wahrscheinlich ganz praktisch. Applaus, Applaus...