Freitag, 22. November 2013

Titel: 100 Ausgaben Worte der Kohorte - ZIS

Zum letzten Heimspiel gab es für uns ein kleines Jubiläum zu feiern: 100 Ausgaben der "Worte der Kohorte" sind seitdem an die Menschen der Nordkurve und vor allem innerhalb des Stimmungsblocks verteilt worden. Anlässlich dieses Jubiläums haben wir uns überlegt, auch hier auf diesem Blog vermehrt Texte zu veröffentlichen, die diverse Thematiken behandeln, mit denen wir uns auseinandersetzen oder die einfach dazu dienen, unseren Senf abzulassen.


Der erste Text befasst sich nun mit der in Duisburg am Innenhafen sitzenden „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“ oder auch ZIS und ihrem Jahresbericht, der regelmäßig für breit gefächertes Kopfschütteln sorgt. Die ZIS setzt sich das Ziel, seit nun schon 20 Jahren für mehr Sicherheit bei Sportveranstaltungen zu sorgen. Über die Koordination und Durchführung eines Informationsaustausches soll sichergestellt werden, dass die zuständigen Polizeidienststellen alle nötigen polizeilichen Informationen besitzt, um „mit angemessenem Personaleinsatz die Sicherheit der Zuschauer in und um Veranstaltungsorte wie Stadien oder Plätze sowie auf den An- und Abreisewegen gewährleisten zu können.“ (http://www.polizei-nrw.de) Ebenfalls bringt die ZIS ihre Erkenntnisse in bundesweite und internationale Gremien ein, um so Einfluss auf Polizeitaktiken und die Sicherheitsvorkehrungen bei Sportveranstaltungen zu nehmen.
Was genau die ZIS unter diesen Formulierungen versteht, werden wir im Folgenden etwas näher beleuchten. So unterhält die ZIS zum Beispiel die Datei Gewalttäter Sport. Hier werden die persönlichen Daten von Fans gespeichert und aufbewahrt, die im Rahmen eines Fußballspiels auffällig geworden sind. Betrachtet man den Namen dieser Datei, geht man normalerweise davon aus, dass unter der Begrifflichkeit „auffällig werden“ gewalttätige Auseinandersetzungen oder zumindest verbotene Aktivitäten verstanden werden. Dem ist aber nicht so. In der Datei Gewalttäter Sport kann ein Fan schon landen, wenn er einfach in eine Personalienkontrolle während eines Fußballspiels gerät, ohne dass er tatsächlich etwas gemacht hat, was ihm hätte angelastet werden können. Der betroffene Fan erfährt dabei auch nicht, ob die eigenen Daten in diese Datei eingespeist worden sind. Es ist dabei völlig uninteressant für die ZIS, ob ein Freispruch erfolgt oder ob ein Verfahren überhaupt erst eröffnet wird. Die Datei Gewalttäter Sport dient also vielmehr einer Anhäufung von Daten, die der Polizei dann auch noch diverse Möglichkeiten gibt, ohne eine Verurteilung oder vorhergegangene Anschuldigung Sanktionen zu verhängen. Wenn es den Betroffenen dann auch nicht bewusst ist, in dieser Datei zu stehen, kann es zu einigen überraschend unangenehmen Situationen kommen. Gefährdenansprachen vor Länderspielen oder brisanten Begegnungen im Ligaalltag sind möglich, sowohl zu Hause als auch am Arbeitsplatz. Ebenfalls kann ein Ausreiseverbot erteilt werden, so dass ein Mensch kurz vor der Reise in ein anderes Land gesagt bekommt, dass ihm dies untersagt wird. Kommt es nicht direkt zu einem Ausreiseverbot, kann es ebenfalls passieren, dass einige sehr unangenehme oder lästige Fragen bzgl. der eigenen Daten in dieser Datei aufkommen können. Des Weiteren können spontan Betretungsverbote für das Stadionumfeld bei einzelnen Spielen ausgesprochen werden, was auch wir in unserer Gruppe schon leidvoll erfahren mussten, als Mitglieder, obwohl diese kein Stadionverbot auferlegt bekommen hatten, trotzdem das Heimspiel gegen den 1. FC Köln nicht besuchen durften geschweige denn das Stadiongelänge, also einschließlich der Parkplätze und der Fläche um den Fanprojektcontainer betreten durften. Besteht also die Möglichkeit, in dieser Datei zu stehen, empfehlen wir, im Zweifel einen Anwalt damit zu beauftragen, einen Brief zur Abfrage und mit der Aufforderung zur Löschung der Daten abzusenden.

Besondere Aufmerksamkeit bekam die ZIS vor allem, als sie im Rahmen der Sicherheitsdebatte im deutschen Fußball ihren Jahresbericht veröffentlichte, um damit zu belegen, dass die Zahl an Verletzten und die Zahl der Festnahme beim Fußball eine steigende Tendenz aufweisen und damit äußerst problematisch seien. Schon damals wurde an diesen Zahlen kritisiert, dass es einerseits keinerlei Aufschlüsselung der Zahlen gibt. Es konnte nicht nachvollzogen werden, wie die Zahl der Verletzten entstanden ist, ob ein angeknackster Knöchel beim Erklimmen der Stadiontreppen auch dazu zählt und wie viele der Verletzten durch den Einsatz der Polizeihundertschaften entstanden. Einsatz von Pfefferspray in großen Menschenmassen, wie sie beim Fußball vorzufinden sind, lassen die Zahl der Verletzten nämlich rapide ansteigen. Die Vermutung, dass solche Verletzungen auch in die Statistik eingeflossen sind, hinterlassen einen äußerst faden Beigeschmack, da Polizeieinsätze so eine Statistik beeinflussen, die als Argument für härtere Polizeimaßnahmen herangezogen wird. Andererseits wurde an den Zahlen kritisiert, dass sie nicht in Relation mit der Anzahl an Menschen betrachtet wurden, die im Jahr Fußballspiele in Deutschland besuchen, was ein statistisch völlig anderes Bild gezeichnet hätte. Der Vergleich mit dem Oktoberfest und den dortigen Straftaten und Verletzten wurde damals ja immer sehr gerne bedient.
Diese Kritikpunkte wurden seitens der ZIS für ihren letzten Bericht der Saison 12/13 wieder nicht berücksichtigt und in Interviews äußerte sich die Zentrale Informationsstelle Sport auch dahingehend, dass eine Aufschlüsselung der Verletzten zum Beispiel nicht relevant für die Erhebung der Daten seien. Würde ein Wissenschaftler so eine Aussage treffen, der einfach ein generelles Verletzungsrisiko bei Fußballspielen aufzeigen wollen würde, wäre dies nachvollziehbar. Allerdings dient der Jahresbericht der ZIS auf Grund ihrer anfangs erwähnten Zielsetzung als Empfehlungsgrundlage für die zuständigen Polizeidienststellen und damit auch als Argumentationsgrundlage, weswegen die Werte in dieser Form absolut unangebracht und sinnlos sind. Doch schauen wir uns die Zahlen des aktuellen Berichts einmal genauer an, da dieser medial nicht eine solche Öffentlichkeit bekam wie im Jahr zuvor im Rahmen des Sicherheitspapiers: Die Zahl der Verletzten ist in der Saison 12/13 um 31% zurück gegangen, die Zahl der Strafverfahren um 20%. Auffällig ist dann aber, dass die Zahl der Festnahmen nur um 6% gesunken ist, was die Vermutung nahe legt, dass die eingesetzten Polizisten recht schnell zum Mittel der Festnahme greifen. Dabei stehen 1,75 Millionen Arbeitsstunden für Polizisten zu Buche, die auch immer wieder von den Polizeigewerkschaften aufgegriffen werden, um von einer enormen Belastung zu sprechen, der nur durch härtere Maßnahmen entgegnet werden kann. Dass diese enorme Anzahl an Stunden, die übrigens fast doppelt so hoch ist wie noch vor 10 Jahren, auch mit der Polizeitaktik zusammenhängen könnte, die in einigen Fällen alles andere als erfolgreich funktionierte, wird nicht erwähnt. Ein Beispiel für diese These wäre allerdings die riesige Anzahl an Polizisten beim letztjährigen Revierderby, die trotzdem keinen Einfluss darauf hatten, dass die Ultras Gelsenkirchen ohne jegliche Polizeibegleitung und Zwischenfälle bis zum Stadion laufen konnte. Weitere Recherchen würden sicherlich ähnliche Beispiele aufzeigen, in denen mit einer geringeren Anzahl an Polizisten ähnliche oder sogar weitaus humanere Lösungen für Situationen hätten gefunden werden können.
Neben diesem öffentlichen Bericht erstellt die ZIS ebenfalls zu jedem Spieltag eine Analyse, was passieren könnte, welche Fans wie anreisen und wie die Vorgeschichte der jeweiligen Fanszenen darauf Einfluss haben könnte. Ein solcher Analysebericht ist in der letzten Saison ebenfalls an die Öffentlichkeit geraten. Dort war zu sehen, dass sogar die Anreisewege von Gruppen, die die ZIS ausnahmslos der Kategorie A, also den friedfertigen Fans zuordnete, detailliert aufgezeigt wurden. Busunternehmen werden dafür abtelefoniert, um Informationen über Routen zu erhalten und die Nummernschilder in Erfahrung zu bringen, wodurch eine systematische Überwachung der anreisenden Fans möglich ist, selbst wenn diese sogar von der ZIS als harmlos eingestuft werden. Die Anzahl der Personen und sogar bevorzugte Kleidungsstile sind dort ebenfalls vermerkt. Datenschutzbestimmungen und Persönlichkeitsrechte sind seitens der ZIS also relativ freizügig ausgelegt. Die Überschrift des Jahresberichts der ZIS „bürgerorientiert – professionell – rechtsstaatlich“ erscheint dabei recht amüsant. Es ist definitiv fraglich, ob all die Informationen und Berichte der ZIS wirklich nötig sind, um das eingangs erklärte Ziel der ZIS zu erfüllen. Der Eindruck, dass hier einfach eine riesige Masse an Daten über Fußballfans und Gruppen angehäuft werden soll, liegt doch ziemlich nahe.